Das Leben ist kein Schaden

 In Aktuelle Urteile, Allgemein

Wir neigen das ganze Leben über dazu, alle Dinge miteinander zu vergleichen und zu bewerten. Da taucht dann auch die Frage auf, wie viel eigentlich ein Leben wert ist. Ganz konkret wird die Frage bei der Bemessung des Schmerzensgeldes, wenn jemand zu Tode gekommen ist. Streit ist vorprogrammiert, da es in solchen Fällen meistens nicht nur um das Geld an sich geht. Diese Verfahren sind emotional hoch belastet. Und daher ist es auch nicht verwunderlich, dass immer wieder der Bundesgerichtshof dazu Entscheidungen treffen muss.

Was war geschehen?

In dem jüngsten Fall litt der 1929 geborene Vater des Klägers an fortgeschrittener Demenz. Darüber hinaus war er bewegungs- und kommunikationsunfähig. Er verstarb im Oktober 2011. Von September 2006 bis zu seinem Tod war der Vater mittels einer PEG-Magensonde künstlich ernährt worden.

Ein Rechtsanwalt kümmerte sich als Betreuer um alle wirtschaftlichen Fragen. Eine Patientenverfügung hatte der Vater nicht errichtet. Wie er zu dem Einsatz lebenserhaltender Maßnahmen stand, ließ sich nicht feststellen.

Der Kläger behauptet, die künstliche Ernährung hätte spätestens seit Anfang 2010 nur noch zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens seines Vaters geführt. Er klagte gegen den Hausarzt seines Vaters, einen niedergelassenen Arzt für Allgemeinmedizin. Dieser hätte durch Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen das Sterben seines Vaters zulassen müssen. Der klagende Sohn verlangt aus ererbtem Recht seines Vaters Schmerzensgeld sowie Ersatz für Behandlungs- und Pflegeaufwendungen.

In der 1. Instanz war die Klage abgewiesen, in der 2. Instanz ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000,00 € zugesprochen worden.

Und das sagt der BGH:

Beim BGH ist für das Arzthaftungsrecht der VI. Zivilsenat zuständig. Die Richter haben das Urteil der 1. Instanz wiederhergestellt. Zur Begründung führt der BGH aus, dass es bereits an einem immateriellen Schaden fehlt. Ein Schmerzensgeldanspruch besteht damit nicht.

Die Richter betonen, dass das menschliche Leben ein höchstrangiges Rechtsgut ist. Es ist damit absolut erhaltungswürdig. Ein Urteil über den Wert des Lebens steht keinem Dritten zu. Damit ist klar: Das Leben kann nicht als Schaden angesehen werden (Art. 1 I GG, Art. 2 II GG). Sogar wenn der Patient selbst zu dem Ergebnis kommt, dass  lebenserhaltende Maßnahme abgebrochen werden sollen, verbietet die Verfassungsordnung aller staatlichen Gewalt einschließlich der Rechtsprechung ein solches Urteil über das Leben des betroffenen Patienten mit der Schlussfolgerung, dieses Leben sei ein Schaden.

Der Sohn kann auch nicht die Behandlungs- und Pflegeaufwendungen ersetzt verlangen. Bei den Aufklärungs- und Behandlungspflichten eines Arztes im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen geht es nicht darum, einem Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten.

BGH, Urteil vom 2. April 2019, VI ZR 13/18

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