Herr Nachbar, die Birken bleiben !
Wenn ein Nachbar mit dem anderen streitet, geht es oft um den grenznahen Bewuchs auf der anderen Seite des Gartenzauns. Entweder hängen die Tannenzweige über die Grenze, der Walnussbaum der Nachbarn beschattet die eigenen Pflanzen oder – noch schlimmer – die eigene Terrasse. Alternativ kann auch schon einmal eine Hecke vermeintlich zu hoch sein. Grundsätzlich sind diese Streitigkeiten zunächst ein Fall für den Schiedsmann oder die Schiedsfrau. Kann dort jedoch keine Einigung erzielt werden, dann geht es zu Gericht.
Was war geschehen:
In dem jetzt vom BGH zu entscheidenden Fall leben die beiden Nachbarn in Baden-Württemberg. Jeder hat ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück. Allerdings befinden sich auf dem Grundstück des Beklagten in einem Abstand von mindestens zwei Meter zu der Grenze auch noch drei ca. 18 Meter hohe Birken. Der Nachbar verlangt nun wegen der von den Birken ausgehenden Immissionen (Pollenflug, Herausfallen der Samen und Früchte, Herabfallen der leeren Zapfen sowie der Blätter und Birkenreiser) die Entfernung der Birken. Sollte der Antrag abgewiesen werden, so verlangt er hilfsweise eine monatliche Zahlung von 230 € jeweils in den Monaten Juni bis November eines jeden Jahres.
Das Amtsgericht hat die Klage mit dem Haupt- und dem Hilfsantrag abgewiesen. Das Berufungsgericht (Landgericht) hat den Beklagten zur Beseitigung der Birken verurteilt. Nun hat der BGH als Revisionsinstanz das Wort.
Und das sagt der BGH:
Der Bundesgerichtshof bestätigt das Urteil des Amtsgerichts. Er gibt damit der Revision des Beklagten statt.
Der Kläger könnte grundsätzlich einen Anspruch auf Beseitigung der Birken nach § 1004 Abs. 1 BGB haben. Das setzt aber voraus, dass der beklagte Nachbar Störer im Sinne dieser Vorschrift ist. Dafür reicht es nicht schon aus, Eigentümer des Birkengrundstücks zu sein. Vielmehr müssen konkrete Gründe vorliegen, um dem Grundstückseigentümer die Verantwortung für das Geschehen aufzuerlegen. Es kommt also darauf an, wie in einem solchen Fall mit Naturereignissen umzugehen ist. Für den BGH ist dabei ganz entscheidend, ob sich die Nutzung des fraglichen Grundstücks, im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hält. So hat der Senat die Störereigenschaft bereits früher einmal verneint, als nicht erkennbar kranke Bäume infolge von Naturgewalten umgestürzt sind.
In aller Regel geht der Bundesgerichtshof von einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung aus, wenn die für die Anpflanzung bestehenden landesrechtlichen Abstandsregelungen eingehalten sind. Das war hier der Fall.
Wer ist für „natürliche Immissionen“ verantwortlich?
Kommt es trotz Einhaltung der Abstandsgrenzen zu natürlichen Immissionen auf dem Nachbargrundstück, ist der Eigentümer des Grundstücks hierfür nach der von dem Gesetzgeber vorgenommenen Wertung regelmäßig nicht verantwortlich. Richtig ist zwar: Der Landesgesetzgeber darf nicht dem Nachbarn Rechte nehmen, die sich aus § 1004 Abs. 1 BGB ergeben. Aber: Darum geht es hier nicht. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Frage, ob ein Grundstückseigentümer überhaupt für natürliche Immissionen verantwortlich sein kann. Ist dieses nicht der Fall, dann gibt es auch keinen Konflikt zwischen den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs und den landesrechtlichen Vorschriften.
Die §§ 907, 910 BGB und die Gesetzesmaterialien zu diesen Vorschriften geben gute Hinweise darauf, dass der Grundstückseigentümer für solche natürlichen Einwirkungen auf das Nachbargrundstück, die von § 910 BGB (Überhang) nicht erfasst werden, regelmäßig nicht verantwortlich sein soll. Voraussetzung ist aber, dass die Anpflanzungen mit dem Landesnachbarrecht in Einklang stehen. Ein Beseitigungsanspruch lässt sich auch nicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis herleiten, da die Beeinträchtigungen zwar erheblich, aber nicht derart schwer sind, dass der Kläger sie nicht mehr hinzunehmen hätte.
Der mit dem Hilfsantrag geltend gemachte Anspruch auf eine Entschädigung von monatlich 230 € in den Monaten Juni bis November besteht nicht. Da der beklagte Nachbar für die Beeinträchtigungen nicht verantwortlich ist, kommt ein Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung in Betracht.
Das bedeutet im Ergebnis:
Der eine Nachbar kann von dem anderen in aller Regel nicht die Beseitigung von Bäumen verlangen, wenn die für die Anpflanzung bestehenden landesrechtlichen Abstandsregelungen eingehalten sind. Auf die von den gesunden Bäumen ausgehenden natürlichen Immissionen auf das Nachbargrundstück kommt es dabei nicht an.
BGH, Urteil vom 20. September 2019, V ZR 218/18