Kinder machen Lärm – ach was!

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Kinder machen Freude. Natürlich! Kinder können ganz schön laut sein. Auch richtig! Und schon beginnen die Meinungen auseinander zu gehen. Wo ist die Toleranzgrenze? Muss Kinderlärm immer und stets akzeptiert werden? Ist „Kinderlärm“ streng genommen eigentlich „Lärm“? Fragen über Fragen; und wenn keiner weiter weiß, dann landet auch ein solches Thema schließlich beim Bundesgerichtshof.

Was war geschehen?

Die Kläger sind Mitglieder einer Wohnungs- und Teileigentümergemeinschaft. Sie wohnen in einer deutschen Großstadt und dort im ersten Obergeschoss eines Hauses. Der Beklagte ist ein eingetragener Verein und betreibt als Mieter unmittelbar darunter im Erdgeschoss ein Eltern-Kind-Zentrum. Nach der Teilungserklärung aus dem Jahr 1987 dürfen die Räume allerdings nur als „Laden mit Lager“ genutzt werden. Neben einem „Mini-Kindergarten“ bietet der Beklagte in seinem Zentrum diverse Kurse für Eltern und auch Kinder an. Auch Samstags gibt es ein Kursangebot. Unregelmäßig finden Kinderfeiern, z.B. Faschingsfeiern, Flohmärkte und Vorträge statt.

Die Kläger wollen mit ihrer Klage erreichen, dass die betreffenden Räume nicht mehr als Eltern-Kind-Zentrum genutzt werden dürfen. Es werden aber auch Hilfsanträge gestellt, falls die Klage in der Hauptsache abgewiesen wird. Dann soll der Beklagte nach dem Willen der Kläger zumindest dafür Sorge tragen, dass auf der Außenfläche vor der Teileigentumseinheit keine Kinderwagen und Fahrräder mehr abgestellt werden. Außerdem soll er sicherstellen, dass die Immissionen in der Wohnung der Kläger einen Pegel von 52 dB (A) nicht überschreiten.

Die Kläger haben in den ersten beiden Instanzen gewonnen. Jetzt muss der BGH entscheiden.

Und das meint der BGH:

Der Bundesgerichtshof hat einen anderen Blick auf die Lage. Er hat der Revision des Beklagten stattgegeben. Zwar darf ein Wohnungseigentümer auf die Einhaltung der Teilungserklärung auch durch die Mieter bestehen. Hier spielt aber die Ausstrahlungswirkung des § 22 Abs. 1a Satz 1 BImSchG auf das Wohnungseigentumsrecht eine Rolle. In dem Paragraphen heißt es: Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie beispielsweise Ballspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden, sind im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung.

Damit ist schon einmal geklärt, dass „Kinderlärm“ keine schädliche Umwelteinwirkung ist. Es geht aber auch darum, ob die konkreten Räume für ein Eltern-Kind-Zentrum genutzt werden dürfen. Der BGH gibt ein Beispiel: Wäre die gesamte Anlage nach der Teilungserklärung als sog. Ärztehaus konzipiert, dann widerspräche das Zentrum wohl unabhängig von dem Störungspotential bereits dem professionellen Charakter des Hauses. Im konkrten Fall räumt der BGH auch ein, das eine Kindertageseinrichtung erhöhten Publikumsverkehr mit sich bringt. Deshalb wird eine Wohneinheit auch nicht zu diesem Zweck genutzt werden dürfen. Aber: Hier geht es um die Nutzung einer Teileigentumseinheit in einer gemischten Anlage. Es gibt dort sowohl Wohnungen als auch Einheiten, die als Büros und Läden genutzt werden dürfen.

Kinderlärm steht unter besonderem Toleranzgebot

Für den BGH ist es auch nicht entscheidend, dass der Beklagte neben der  Kindertageseinrichtung auch ein Angebot ausschließlich für Eltern unterbreitet. Grundsätzlich darf der Begriff der Kindertageseinrichtung nicht zu eng gefasst werden. Nur ein offenes Verständnis entspricht dem gesetzgeberischen Ziel, durch § 22 Abs. 1a BImSchG eine Privilegierung von „grundsätzlicher Natur“ zu schaffen und vor dem Hintergrund, dass Kinderlärm unter einem besonderen Toleranzgebot steht, ein klares gesetzgeberisches Signal für eine kinderfreundliche Gesellschaft zu setzen. Dann löst sich aber der Streit schnell auf. Lässt man den priviligierten „Kinderlärm“ weg, dann gehen die mit dem Betrieb des Eltern-Kind-Zentrums verbundenen Störungen nicht über das hinaus, was bei dem Betrieb eines Ladens regelmäßig zu erwarten ist.

Zur Entscheidung über die Hilfsanträge hat der Bundesgerichtshof die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dass die Kläger von dem Beklagten nicht die Unterlassung der Nutzung als Eltern-Kind-Zentrum verlangen können, schließt Unterlassungsansprüche gemäß § 1004 Abs. 1 BGB wegen einzelner besonders störender Handlungsweisen nicht aus.

Und ganz nebenbei zeigt das Verfahren, dass auch vor Gericht manchmal ein langer Atem notwendig ist: Die Klage wurde in der Hauptsache erst in der dritten Instanz abgewiesen. In den ersten beiden Instanzen (Landgericht und Oberlandesgericht) sind die Kläger mit ihrem Hauptantrag noch erfolgreich gewesen.

Urteil vom 13. Dezember 2019 – V ZR 203/18

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